Stéphanie Coste:
Der Schleuser
Ich habe die Hoffnung zu meiner Handelsware gemacht. Solange
es Verzweifelte gibt, werden auf meinem Strand Hühner
aufkreuzen, die goldene Eier legen. Hühner, die blöd genug
sind, von besseren Zeiten am gegenüberliegenden Ufer zu
träumen.
Die Zahl der Ankömmlinge aus Khartum und Mogadischu letzte
Woche hat mich überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet,
dass so viele von ihnen die Sahara überstehen würden. Im
Allgemeinen mache ich eine gute Rechnung mit den Anwerbern.
Wenn hundertfünfzig von Somalia und anderswo aufbrechen,
schaffen es kaum zwei Drittel davon bis nach Libyen. Sie
können die Durchquerung der Wüste, wo der Tod ihnen lauernd
im Nacken sitzt, nicht umgehen. Normalerweise sterben mehr
von ihnen in der sengenden Hitze einer Fata Morgana als auf
dem Meer. Der unbändige Drang zu überleben verleiht ihnen
mehr und mehr Biss.
Andarg müsste heute oder morgen noch etwa sechzig weitere
aus Eritrea liefern. Die Sudaner und die Somalier sind schon
zu viele für die Kapazität des Bootes. Ich war zu gierig,
ich weiß es. Ich wollte mir mit der letzten überfahrt der
Saison die Taschen bis obenhin füllen. Seyoum-Kreuzfahrten
schließt im Winter die Türen, schert euch zum Teufel. Das
hatte ich mir gesagt. Diese Unaufmerksamkeit wird letzten
Endes meinem guten Ruf schaden. Einem Ruf, den ich in zehn
Jahren Arbeit und durch Verrat verschiedenster Natur
aufgebaut habe. Der Konkurrenz ist ihre Verantwortung genau
wie mir völlig egal. So folgte von Tripolis bis Zuwara ein
Fiasko auf das andere und das wird langsam bekannt. Die
Küste wurde zu einem Müllabladeplatz der etwas anderen
Sorte. Die Mund-zu-Mund-Propaganda wurde aufgebauscht im
Wind der kürzlich erlittenen Schiffbrüche. Und vom Sudan bis
nach Somalia hat sie Zweifel gesät. Momentan ist der Ansturm
der Kandidaten für das Trugbild Italien noch groß. Aber es
ist Vorsicht geboten.